Mein Adventsmoment ereignete sich bereits am 28. Oktober. Gerade hatte die Bundeskanzlerin angekündigt, dass aufgrund der steigenden Covid 19-Infektionszahlen im November strenge Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Kultureinrichtungen, Sport und Gastronomie gelten sollten. Erst einmal nur für diesen Monat, im Dezember könne es schon wieder besser werden, aber jetzt müssten wir alle diszipliniert sein und uns an die Regeln halten. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus brachte es auf den Punkt: "Es geht jetzt darum, dass wir Weihnachten retten.“
Wie - Weihnachten retten? Was genau hatte sich der Fraktionschef vorgestellt, was sollte da eigentlich gerettet werden? Weihnachtsbesuche und Weihnachtsessen, Weihnachtsmärkte und Weihnachtsbeleuchtung, Weihnachtsbäume und Weihnachtslieder, Geschenke und Glühwein und überhaupt das ganze Weihnachts-Geschäft? Einen Rettungsschirm für Rudolf, das Rentier mit der roten Nase? Oder Schwimmflügel für das Christkind?
Nein, an das Christkind - das heißt: an Jesus von Nazareth - haben wohl die meisten nicht wirklich gedacht, die in den Chor einstimmten, dass wir nun alle gemeinsam „Weihnachten retten“ müssten. Eher vielleicht noch an die Sehnsüchte und die hohen Erwartungen, die viele Menschen mit Weihnachten verbinden, den Traum von Frieden und Harmonie in der Familie, von der Erfüllung all unserer Wünsche. Wenigstens diesen schönen Traum muss man doch retten aus den Trümmern eines Jahres, das viele Menschen eiskalt erwischt hat. Wenigstens an Weihnachten soll alles gut werden. Gerettet!?
Dabei ist es genau umgekehrt: Nicht wir müssen in die Hände spucken und flugs mal Weihnachten (und die Welt, wenn wir schon mal dabei sind) retten. Sondern es kommt einer zu uns, der uns rettet. Vor den Abgründen der Gier und Lieblosigkeit. Aus dem Netz der Angst, die uns lähmt. Aus dem sinnlosen Hamsterrad des „immer schneller, immer mehr“. Vor uns selbst und unserer Selbstüberschätzung. Und manchmal auch vor Weihnachten.
Eigentlich müssten wir doch hinreichend gelernt haben, dass wir beileibe nicht alles unter Kontrolle haben, uns nicht selbst retten und am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen können. Und dass uns nur manchmal nur noch der Schrei bleibt: „Komm doch und rette uns, sonst gehen wir zugrunde!“ (Mt 8,25) An Weihnachten feiern wir, dass Gott diesen Schrei gehört hat. Dass Gott selbst kommt - als kleines Menschenkind -, um bei uns zu sein, uns zu lieben, uns zu retten. Wir müssen nichts dazu tun als das, genau das, anzunehmen und uns darauf einzulassen. Wir dürfen uns lieben lassen. Wir dürfen staunen, wie Gott uns entgegenkommt.
All die selbsternannten Weihnachts-Retter sehen letztlich alt aus gegen die Botschaft, die - Corona hin oder her - sicher auch dieses Jahr tausendfach gesungen werden wird: „Christ, der Retter, ist da!“
Und weil wir schon wissen, dass wir dieses Weihnachten geschenkt bekommen und nicht selbst machen oder gar retten können, können wir schon im Advent Mut fassen, selbst wenn alles andere abgesagt werden sollte: „Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Knie! Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht! Seht, euer Gott! (…) Er selbst kommt und wird euch retten.“ (Jes 35, 3-4)
Bistum Würzburg
Ursula Silber
Pastoraltheologin und Rektorin des Martinushauses in Aschaffenburg